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Strampedemi:
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Vom Los der Landsknechte
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Fahrender Scholar, Kunde
(Landstreicher) und Zigeuner
als Identifikationsfiguren
wurden in der deutschen Jugendbewegung
des frühen 20. Jahrhunderts
bald übertroffen durch den
Landsknecht. Im Ersten Weltkrieg
und in den Jahren danach fanden
viele Landsknechtslieder weit darüber
hinaus
Verbreitung.
Sie hatten nur
den Nachteil,
dass sie fast
alle nicht echt
waren, das
heißt, nicht aus
der Blütezeit
des Landsknechtstums
(also der Wende
vom Mittelalter
zur Neuzeit)
stammten,
sondern
im 20. Jahrhundert
getextet
und komponiert
worden
waren.
Hans Breuer
hatte 1908 in
die Erstausgabe
des „Zupfgeigenhansl“
ein echtes
Landsknechtslied
aufgenommen:
„Wir
zogen in das
Feld“. Es war
unter den
d e u t s c h e n
Landsknechten
entstanden,
mit denen
Kaiser Karl V.
im frühen 16.
Jahrhundert in
Italien Feldzüge
führte.
Georg Foster
hat 1540 die
erste Strophe
in seiner
S a m m l u n g
„Frische Teutsche
Liedlein“
ü b e r l i e f e r t .
Auch zwei weitere
Strophen
stammen mit
sehr großer
Wahrscheinlichkeit
aus dieser Zeit.
Kauderwelscher Kehrreim
Wenn Wandervögel und Bündische
sangen „Wir zogen in das
Feld“, so meinten sie natürlich
nicht den Aufbruch zu einem Feldzug,
sondern ihr Wandern in
„Wald und Feld“, wo sie – fern
von den Zwängen und Regulierungen
der Schule, des Elternhauses
und der Arbeitswelt – zumindest
für kurze Zeit ein frohes Jugendleben
auskosten konnten.
Und wenn sie in dieser Strophe
sangen: „… da hätt’n wir weder
Säckel noch Geld“, hatten sie Erfahrungen
vor Augen, die mit dem
vergleichbar waren, was die Existenzweise
der Landsknechte ausmachte.
Diese Jugendlichen gingen
bewusst mit sehr wenig Geld
auf Fahrt, im Gegensatz zu den
Touristen ihrer Zeit, was Ausrüstung,
Ernährungsweise und Über Übernachtung
anbelangte.
Was das Lied besonders schnell
Beliebtheit finden ließ, waren die
in jeder Strophe wiederkehrenden
zwei Zeilen in einem wunderlich
verderbten Italienisch: „Strampedemi!
A la mi presente al vostra
signori!“ Dieses Kauderwelsch aus
dem Munde deutscher Landsknechte
könnte bedeuten: „Trompetet!
Erscheint zum Appell, ihr
Herren!“ Oder, wie man anderen
Liederbüchern entnehmen kann:
„Trompetet mi-la-mi (= Notennamen),
zeigt euch zur Musterung,
ihr Herren!“ Diese Laute aus dem
Welschland schienen dem Lied etwas
Weltläufiges zu geben.
Mehrere Liederbücher drucken
„Wir zogen in das Feld“ mit der
Überschrift „Landsknechtsmarsch“
ab. Es entspricht in seiner
Melodie dem Schreiten der historischen
Landsknechte, nicht aber
dem strengen Marschrhythmus
von Marschliedern des 19. oder 20.
Jahrhunderts. Marschierende Bündische
sangen sich das Lied für
den Gesang von Marschkolonnen
zurecht. Wenn dann noch die Einleitungszeilen
zwei- oder mehrstimmig
intoniert werden und das
„ A la mi presente …“ kanonartig
gesungen wird, ergibt sich ein begeisterndes
Klangerlebnis.
Die beiden weiteren Strophen,
die als echt angesehen werden
können, verweisen auf Stationen
eines der damaligen Landsknechtsfeldzüge.
„Wir kamen von
Siebentod …“ Im Munde der
Landsknechte wurde der italienische
Ort Cividale in Friaul zu „Siebentod“.
Ihre Lebensbedingungen
dort: „… da
hätt’n wir
weder Wein
noch Brot.“
Die dritte
Strophe beginnt
so:
„Wir kamen
vor Friaul,
da hätt’n wir
a l l e s a m t
groß Maul.“
G e m e i n t
sind wohl
lautstarke,
d r o h e n d e
Forderungen
nach Auszahlung
des
Soldes. Die
später erfundene
Benevent-
Strophe
lautet: „Wir
kamen vor
Benevent, da
hätt all unser
Not ein
End’.“ Gemeint
sind
hier wohl:
Sold, Beute
und Lebensgenuss
nach
vielen entbehrungsreichen
Tagen.
„Wir kamen
auch
nach Rom,
da gingen
wir in Sankt
Peters Dom
…“ Gemeint
ist hier aber
nicht ein äst
h e t i s c h e s
oder religiöses
Erlebnis
der Landsknechte,
sondern
der berühmt-
berüchtigte
Sacco di
Roma (1527),
die Erstürmung Roms, bei der
auch deutsche Söldner beteiligt
waren (unter ihnen Lutheraner,
die in St. Peter „antipapistische“
Graffiti hinterließen). Wenn man
in den katholischen Jugendbünden
des 20. Jahrhunderts diese
Strophe sang, wussten die Sänger
entweder nichts über die Plünderung
Roms und die Entweihung
von St. Peter oder sie machten sich
nichts daraus.
Vielseitig verarbeitet
in der Literatur
Das Lied wirkte bis in die deutsche
Romanliteratur hinein. Der niederrheinische
Dichter Otto Brües nutzte
es an zwei wichtigen Stellen seines
großen autobiographisch getönten
Romans „Der Silberkelch“
(1948), um den Wandervogel zu
charakterisieren: 1913 planen Krefelder
Gymnasiasten die Gründung
eines Jugendbundes. Den gebe es bereits, sagt einer, nennt
den Wandervogel und mimt einen
Klampfenspieler, wobei er den
Strampedemi-Kehrvers anstimmt.
Im Ersten Weltkrieg nehmen Figuren
dieses Romans an einem Treffen
des Feld-Wandervogels hinter
der nordfranzösischen Front teil.
Als die Wandervogel-Soldaten zur
Sonnwendfeier ziehen, singen sie
das Strampedemi-Lied. Das
„Feld“, in das sie gezogen sind ist
für sie, wie einst für die Landsknechte
des Liedes, zum Schlachtfeld
geworden.
Hanns Heinz Ewers arbeitete in
seinem 1933 publizierten Roman
„Reiter in deutscher Nacht“ die
Hoffnungen und Enttäuschungen,
die Wege und Irrwege, die Taten
und Untaten deutscher Nationalsozialisten
zwischen November
1918 und 1932 auf. Im Januar 1924
richtet ein studentischer Stoßtrupp
Franz Josef Heinz-Orbis, den Präsidenten
der „Pfälzer Republik“
(von Frankreichs Gnaden), in Speyer
hin. Der Präsident tafelt mit einigen
separatistischen Spießgesellen
im „Wittelsbacher Hof“, ein Teil
des Hinrichtungskommandos erhält
Zugang als vermeintliche
Truppe junger Kleinkünstler. Einer
von ihnen begleitet mit der Gitarre eine Schnellzeichnerin, die ein Präsidentenportrait
skizziert und dabei
das „Wir zogen in das Feld“
trällert, es launig (und zugleich verschlüsselt
auf das bevorstehende
Attentat hinweisend) kommentiert.
Einer der Beteiligten in Gedanken:
„Das Lied hatten sie im Kriege gesungen
und im Freikorpslager.“
Wie vor ihr schon manche andere
erfindet die Schnellzeichnerin Lili
eine neue Strophe: „Wir kamen in
die Pfalz, zum rot’ Hahn in die
Balz, da hätt’n wir Pirsch viel, Jagd
gut, über die Schuh Blut. Strampedemi
…“ Wenig später fallen die
tödlichen Schüsse auf den Separatistenführer.
Ernst Klusen, akademischer
Volkslied-Experte, schrieb 1980:
„Singen verhilft dem Einzelnen
zum Ausdruck seines Selbst. Indem
er sich im Lied ausdrückt, findet
er zu sich, zu seiner Identität.
Singend bestätigt er sich in seiner
Existenz, und Selbstbestätigung ist
für die Selbstfindung wichtig.“
Klusen kam aus der Jugendbewegung.
Er zögerte darum nicht, „Wir
zogen in das Feld“ in die große
Sammlung „Deutscher Lieder“
aufzunehmen, die er 1980 im Insel
Verlag herausbrachte.
NZ 04-14
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