Kranke Blaumeise - Foto: Otto Schäfer
Mysteriöses Meisensterben
Melden Sie uns kranke oder tote Blaumeisen



Derzeit grassiert eine bis jetzt unbekannte und scheinbar ansteckende Krankheit in der Vogelwelt, vor allem Blaumeisen scheinen betroffen zu sein. Ab 11. März 2020 wurden erste Fälle aus Rheinhessen in Rheinland-Pfalz und den angrenzenden Regionen am Mittelrhein in Hessen bekannt, später folgten Hinweise bis nach Thüringen. Um die Ausbreitung dieses neuen Phänomens und seine Auswirkungen auf Vögel zu erfassen und zu bewerten, bittet der NABU um die Meldung kranker oder toter Blaumeisen und das Einsenden von Proben zur Untersuchung.
Update 14. April: Bereits über 8000 Meldungen
Über Ostern sind beim NABU bereits deutlich über 8.000 Fälle toter und kranker Blaumeisen gemeldet worden. Nur selten wurde über ähnliche Symptome auch von anderen Arten wie Kohlmeisen, Rotkehlchen oder Haussperlingen berichtet. Die Meldungen deuten auf eine Konzentration im Dreiländereck zwischen Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen hin sowie im nördlichen Nordrhein-Westfalen und Teilen Niedersachsens (siehe Karte weiter unten).
Labordiagnosen zum Auslöser stehen noch aus. Einige Eigenschaften der Krankheitswelle würden jedoch gut zu einer für Menschen ungefährlichen bakteriellen Infektion passen, die in der Vergangenheit vor allem in Großbritannien zu Lungenentzündungen bei Meisenarten geführt hat und seit 2018 in geringem Ausmaß auch aus Deutschland bekannt ist. Wir werden darüber informieren, sobald sich dieser Verdacht bestätigt oder widerlegt werden kann.
Von der jetzt auftretenden Krankheit betroffen sind anscheinend vor allem Blaumeisen, in einzelnen Fällen auch Kohlmeisen oder andere kleine Singvögel.

Meldungen zum Meisensterben je Landkreis pro 100.000 Einwohner, Stand 14. April 2020 - Grafik: Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin/Renke Lühken
Die erkrankten Vögel werden meist in der Umgebung von Futterstellen in Gärten beobachtet und fallen dadurch auf, dass sie nicht mehr auf ihre Umwelt reagieren. Es wurde beobachtet, dass Blaumeisen, die kurz darauf starben, apathisch und aufgeplustert auf dem Boden saßen und keine Fluchtversuche bei sich nähernden Menschen unternahmen.
Weitere mutmaßliche Symptome der Krankheit sind, dass die Vögel wirken, als hätten sie Atemprobleme, Teile des Kopfgefieders sind ausgefallen, die Augen wirken verklebt. Sie nehmen kein Futter mehr auf oder können anscheinend nicht mehr schlucken. Manche Meisen wirken, als hätten sie unstillbaren Durst.
Passt nicht zu bekannten Vogelkrankheiten
Angesichts der besonderen Betroffenheit von Blaumeisen und der Jahreszeit des Auftretens passt keine der bekannten kursierenden Vogelkrankheiten zum neuen Phänomen. Das von Stechmücken übertragene Usutu-Virus tritt im Sommer auf und befällt vor allem Amseln. Das in Deutschland neue West-Nil-Virus ist ebenfalls auf den Hochsommer beschränkt. Trichomoniasis benötigt ebenfalls sommerliche Temperaturen und äußert sich vor allem in einem Sterben von Grünfinken. An ungepflegten Futterstellen regelmäßig auftretende Salmonellen-Vergiftungen wirken ebenfalls nicht spezifisch auf Blaumeisen und sind bereits bundesweit verbreitet.
Die beobachteten Symptome und die gehäuft gefundenen Blaumeisen – oft werden bis zu fünf tote Meisen aus einem Garten gemeldet – lassen vermuten, dass es sich um eine hochansteckende Infektionskrankheit handelt. Leider wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts über die Krankheit oder den Erreger.
-
Zum Hantieren mit toten Vögeln wird grundsätzlich das Verwenden von Handschuhen oder einer umgestülpten Plastiktüte sowie eine anschließende Händereinigung empfohlen. - Foto: Otto Schäfer
-
Tote Blaumeise - Foto: Otto Schäfer
-
Auch ohne Krankheiten sind Vögel zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Diese Blaumeise war mit Moos im Schnabel auf dem Weg zum Nest, als sie an einer stark befahrenen Straße zu Tode kam. Gefunden Ostersamstag in Potsdam. – Foto: Helge May
Es liegt nahe, dass die Krankheit besonders dort übertragen wird, wo viele Vögel aufeinandertreffen, worauf der übliche Fundort in der Nähe von Vogelfütterungen hinweist. Daher rät der NABU grundsätzlich dazu, bei Beobachtungen von mehr als einem kranken Vogel an Fütterungen, diese Fütterung und die Bereitstellung von Tränken sofort einzustellen – sozusagen als „Social Distancing“ für Vögel.
Auffällige Beobachtungen bitte melden
Helfen Sie uns, die Ausbreitung dieser neuartigen Krankheit bei Blaumeisen nachzuvollziehen, indem Sie uns Beobachtungen über das Meldeformular auf dieser Seite zukommen lassen. Über dieses Formular sollten Sie melden, wenn Sie kranke oder vermutlich an einer Krankheit gestorbene Blaumeisen in Ihrer Umgebung feststellen. Bitte machen Sie dabei möglichst genaue Angaben zu Fundort, Funddatum und den näheren Fundumständen und zu den Symptomen der Vögel. Der NABU sammelt alle Daten, wertet sie aus und stellt sie weiteren Wissenschaftlern zur Verfügung. Diese einfache Methode hilft uns, das Ausbruchsgeschehen zu verfolgen, geografisch zuzuordnen und mögliche Ursachen und Auswirkungen zu identifizieren.
Das können Sie tun: Einsendung toter Vögel
Noch ist unbekannt, was die Blaumeisenkrankheit auslöst. Es könnte ein Virus sein, aber auch andere Krankheitsauslöser sind möglich. Zur Ursachenfindung ist eine veterinärmedizisiche Untersuchung tot aufgefundener Blaumeisen dringend notwendig.
In der Regel nehmen Untersuchungsämter aller Bundesländer die toten Tiere an und leiten diese weiter. Privatpersonen können den Amtstierarzt des Kreises aufsuchen, der üblicherweise die toten Vögel über die Amtsstelle an das jeweilige Untersuchungsamt leitet. Ist dies nicht möglich, nimmt auch das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg (BNI) die Proben in Empfang, testet diese auf Viren und organisiert bei Bedarf weitere Untersuchungen.
Bitte unterstützen Sie die wissenschaftliche Untersuchung toter Vögel durch das Einreichen oder Einsenden toter Vögel. Die Vögel sollten baldmöglichst eingesammelt und entweder tiefgefroren oder frischtot eingeschickt werden. Bitte beachten Sie dazu folgende Punkte:
- Da die Ursache des Blaumeisensterbens bisher unbekannt ist, kann eine Infektionsgefahr von den Vögeln ausgehen. Zum Hantieren mit toten Vögeln wird grundsätzlich das Verwenden von Handschuhen oder einer umgestülpten Plastiktüte sowie eine anschließende Händereinigung empfohlen.
- Tote Vögel sollten nach vorheriger Rücksprache direkt an das zuständige Kreisveterinäramt abgegeben werden. Nur wenn dies nicht möglich ist, können sie auch direkt an das BNI in Hamburg versandt werden.
- Sorgen Sie bitte für einen zügigen Versand und eine sichere Verpackung! Idealerweise sollten die Vögel mit einem Tiefkühlakku versehen, gut gepolstert und wasserdicht verpackt versendet werden. In den Sommermonaten ist eine Isolation mit Styropor sinnvoll.
- Es empfiehlt sich besonders vor Wochenenden die Einsendung mit dem BNI oder den Untersuchungsämtern vorab telefonisch abzustimmen.
- Ist ein sofortiger Versand nicht möglich, müssen die Vögel bis zum Versand gut verpackt tiefgefroren aufbewahrt werden.
- Einsender sollten auf der Verpackung den Schriftzug „Freigestellte veterinärmedizinische Probe“ anbringen. Um die Proben unter den ebenfalls eingesandten Usutu-Verdachstfällen (meist Amseln) priorisieren zu können, ergänzen Sie bitte das Stichwort „Blaumeise“.
- Fügen Sie Ihrer Sendung genaue Informationen zum Absender sowie zu Fundort (mit PLZ) und Funddatum bei.
- Leider können keine Versand- und andere Unkosten erstattet werden. Wie zahlreiche Mitmenschen unterstützen Sie mit ihrer Zuarbeit jedoch die Erforschung des Blaumeisensterbens tatkräftig!
- Die Untersuchung der eingesandten Vögel wird kostenlos vorgenommen, und selbstverständlich erhält jeder Einsender vom BNI eine Rückmeldung über das Resultat der virologischen Untersuchung. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Untersuchungen insbesondere bei einem noch unbekannten Erreger lange dauern können und auch nicht alle Proben sofort bearbeitet werden können und daher die individuelle Rückmeldung unter Umständen erst zu einem späteren Zeitpunkt des Jahres erfolgen kann.
Untersuchungsstelle für Vogel-Viren:
Dr. Jonas Schmidt-Chanasit
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Bernhard-Nocht-Straße 74
20359 Hamburg
Tel. 040-42818-862, Fax 040-42818-941
luehken@bnitm.de
Bitte informieren Sie den NABU über die Untersuchungsergebnisse von Ihnen eingereichter Vögel (per Mail an Vogelschutz@NABU.de). Nennen Sie dabei möglichst die Postleitzahl des Fundorts und das Funddatum und/oder den Namen der Melder*in, damit wir die Untersuchungsergebnisse den zugehörigen Meldungen in unserer Datenbank zuordnen können.
Das können Sie tun: Fotos betroffener Vögel einsenden
Um dem Phänomen weiter auf den Grund zu gehen und Symptome besser kennenzulernen, bitten wir Sie, uns neben der Meldung über das Formular Digitalfotos von erkrankten Blaumeisen zu senden. Bitte geben Sie Datum und PLZ des Fundes bei der Fotosendung mit an, um diese der zugehörigen Meldung in der Datenbank zuordnen zu können. Durch die Übersendung von Bildern ohne einen ausdrücklich anderslautenden Vermerk würden Sie diese Fotos für die kostenfreie Verwendung durch den NABU im Zusammenhang mit der Erforschung des Blaumeisensterbens zur Verfügung stellen. Wir würden den Namen des Bildautors selbstverständlich stets mit angegeben und die Bilder ohne Rücksprache mit Ihnen nicht an Dritte weitergeben.
Das können Sie tun: Gartenvogelbestände zählen
Über Ihre Teilnahme an den beiden großen Mitmach-Aktionen „Stunde der Wintervögel“ (Anfang Januar) und „Stunde der Gartenvögel“ (Anfang Mai) können Sie als Mitforschende mögliche Auswirkungen des Blaumeisensterbens auf die Bestände der Gartenvögel in Deutschland erfassen. Beteiligen Sie sich an der Gartenvogelzählung und liefern Sie uns Daten über den aktuellen Zustand der Vogelwelt! Je mehr Daten eingehen, umso aussagekräftiger werden die Ergebnisse, so dass auch noch für eng begrenzte Regionen wie Landkreise oder Gemeinden valide Ergebnisse ermittelt werden können. Die nächste Stunde der Gartenvögel findet vom 8. bis 10. Mai statt.
Verwandte Themen
Zum ersten Mal wurde das Usutu-Virus im Jahr 1959 in Südafrika isoliert. Nach Deutschland kam es im Jahr 2011, als sich Funde über tote Amseln am Oberrhein häuften. Befallene Vögel wirken apathisch und sterben meist innerhalb weniger Tage. mehr →
Im Hitzesommer 2018 ist das von Mücken übertragene und ursprünglich aus Afrika stammende West-Nil-Virus (WNV) erstmals in Deutschland nachgewiesen worden. WNV wird von blutsaugenden Stechmücken übertragen und zirkuliert in der Natur in einem Vogel-Stechmücken-Vogel-Kreislauf. mehr →
Als Naturfreunde und Naturschützer sollten wir uns mit Afrikanischer Schweinepest, West-Nil-Virus und Usutu beschäftigen, sollten Ursachen und Folgen kennen, wissen ob wir uns schützen müssen und was diese Krankheiten für unsere „Schützlinge“ bedeuten. mehr →